„Wir bedürfen des Muts, uns allem zu stellen, was gegenwärtig ist.“ Jack Kornfield
Gedanken zur Corona-Zeit von Angela Kling, 3. April 2020
Jede von uns versucht mit der neuen, ungewissen Situation klar zu kommen. Ratschläge gibt es genug, was wir zuhause, mit unseren Gedanken und der freien Zeit anfangen könnten. Und vor allem digitale Infos, Analysen, Videos, Podcasts, Zoom Meetings, Telefonate…, die ich natürlich auch anschaue.
Meine Suche nach Hinweisen, wie ich das Ganze einschätzen, bewältigen kann
Da gibt es bei mir mehrere Ebenen: der Verstand: klar, Lockdown, Kontakt aufs Minimum reduzieren, die Anweisungen befolgen, macht ja Sinn, ist hoffentlich bald vorbei, was kommt danach??? Was machen die anderen Länder? Wie viele Tote? Die Erde schlägt zurück?
…..dann die Gefühle: geht eigentlich ganz gut, bin satt und warm, hat auch Vorteile, kein Flugzeuglärm, kein Verkehr, Vögel singen, Wasser wird klarer, kann in Ruhe an meiner Kunst Website arbeiten, lerne dazu, kann viel online machen etc..
Und dann das tiefe innere Wissen, was sich bei mir durch heftigstes Jucken am ganzen Körper ausdrückt: Ich bin zutiefst beunruhigt! Ich trauere um alles, was jetzt auch vielleicht endgültig verloren geht! So schnell gewöhnen wir uns an den Verlust der körperlichen Nähe und Austausch, den Ersatz durch online, der Verlust unserer demokratischen Prozesse, Freiheitsrechte, noch nie so empfunden (das erste Mal war Tschernobyl, wo wir Angst hatten, raus in die Sonne zu gehen, der radioaktive Fallout heimtückisch in jedem Pilz lauernd… vor der ungeschützten Bestrahlung unseres ganzen Körpers). Jetzt also wieder und noch viel weiter gehend. Ich trauere.
Hineinhorchen
Wenn ich in mich hineinhorche, wirklich konzentriert, mir Zeit nehme, dann spüre ich meine Ohnmacht, mein Ausgeliefertsein an diesen gigantischen Wandel, dieser globalen Großwetterlage. Das ist so unglaublich groß und unwirklich und übersteigt alles, was ich zu verstehen suche. Ich weiß, dass viele jetzt auf ein Umdenken hoffen. Aber wer denkt um? Die Konzerne? Die Rüstungsindustrie? Die Kinder- und Frauen und Menschenhändler? Die Tierdiebe? Die konventionelle Landwirtschaft? Die Generäle, das Militär? Regionale, ökologische und menschliche Katastrophen (wie sie in Afrika und in vielen Teilen der Erde jeden grausamen Moment stattfinden) bewegen die globalen Verantwortlichen meistens nur dahingehend, ihre Strategien zu verändern und den neuen Situationen anzupassen. Dann beuten sie eben woanders aus. Dem fühle ich mich ausgeliefert und kann nichts daran ändern. Auch ich verzichte nicht auf viele Dinge u.a. auf mein Smartphone, obwohl ich weiß, dass unzählige Menschen und Tiere unter Rohstoffförderung/Produktion, Vertrieb und Verbrauch leiden. Sehr sogar.
Was tue ich also, um bei Sinnen zu bleiben?
Um weder in die zynischen pessimistischen Dunkelheiten zu verfallen, noch mich in esoterischen Höhenflüge zu ergehen? Ich bahne mir meinen inneren Weg dahin gehend, dass ich für mich immer wieder den Mut aufbringe zu fragen, was passiert mit mir in diesem Moment? Wie kann ich in meiner Umgebung mitfühlend und unterstützend handeln?
Ich nehme meinen Körper und meine Seele wahr. Ich halte das aus, ohne zu beschönigen oder meine freudigen Momente zu unterdrücken. Ich halte das Wissen aus, wie gut es mir geht – und Millionen gleichzeitig leiden.
Ich habe den Mut mir einzugestehen, dass ich nichts weiter tue, außer meine eigene aktuelle Situation wahrzunehmen und zu schauen, wie es anderen in meiner Reichweite geht und helfen, wenn sie es wollen.
Mut statt Ablenkung
Statt mich in tröstlichen Annahmen zu ergehen „ja, die Erde reinigt sich jetzt“. Mag ja sein, aber der gesellschaftliche Schockwandel ruft in meiner Gegenwart zunächst Schaden und Vergehen der alten Strukturen hervor und das bereitet mir und vielen anderen große Schmerzen. Diese Strukturen waren gut oder nicht gut, jedenfalls werden sie jetzt hinweg gespült und mit ihnen das, was vielen geholfen hat, ihre bloße Existenz zu bestreiten. Für Kinder und Frauen und viele Männer ist diese aktuelle Entwicklung keineswegs hilfreich, die Gewalt der Hilflosigkeit befördert durch Alkohol schlägt tiefe neue Wunden, bringt weiteres Leiden. Und auch darüber brennt mein Herz und ich beruhige es mit Mitgefühl mit mir selbst und damit, wie sehr viele andere Seelen unter diese Prozessen und dem Wissen darüber leiden. Schicke ihnen Licht und Zuversicht.
Wenn ich jetzt eine Schwitzhütte machen würde…
…dann würde ich inniglich darum bitten, dass Feuer, Erde, Wasser und besonders die Luft (das Schwert der Kannon als Symbol für Atem, Verstand, Gedanken, Kommunikation, Musik, Gesang) mir und uns dabei helfen, ehrlich wahrzunehmen, wie die ureigene körperliche und seelische Gegenwart sich gerade wirklich anfühlt (Bin ich traurig? zufrieden? sorgenvoll? panisch? liebevoll?). Wahrnehmen, was physisch direkt um mich herum passiert.
Kannon ist auch die, die auf die Töne/Gebete der Welt hört – und wer Hilfe braucht
Mache ich nur einen kleinen Schritt, z.B. spende ich für „Terre des Femmes“ und für den Erhalt unseres regionalen Kinos, spreche meinem Neffen Mut zu, helfe meiner alten Mutter ein Problem lösen oder werde aktiv in unserem online Tanzprojekt, so kommt Bewegung in meine Schockstarre. Statt lähmendem Grübeln oder der Jagd nach dem neuesten Post spüre ich Freude in einer für mich sinnvollen Aktivität.
Na klar verfolge ich, was in den Medien verbreitet wird. Studien, Meinungen, Angst-, Verschwörungs- und Hoffnungszenarien beschäftigen mich auch, aber mit innerem Abstand. Wahrnehmen, beobachten, nicht gleich einordnen. Unlogische Gleichzeitigkeit zulassen. So ist die Welt eben gerade!
Ich stärke mein Immunsystem, mich selbst, gegen Vereinfachung und Manipulation, von welcher Seite auch immer. Bereite mich dadurch vor, auf das, was noch kommen wird. Halte meinen Geist klar. Mitgefühl und tiefere Erkenntnis, das Zusammenwirken von Körper, Geist und Seele, hält meine innere Stärke, kann ich in dieser Zeit vertiefen und weiter entwickeln. Nicht mehr und nicht weniger.
In Liebe
Angela
Kannon, wach und mitfühlend Collage: Angela Kling
Weiterführende Infos:
Kannon ist seit ihrer Ankunft Ende des sechsten Jahrhunderts in Japan eine der beliebtesten Gottheiten im buddhistischen Pantheon. Der Name Kannon ist eine Kurzform von ‚Kanzeon‘ 觀世音und setzt sich aus den Schriftzeichen kan 觀 für „betrachten, anschauen, einen Blick auf etwas werfen“, oder „Anschauung, Ansicht“ und on 音 „Ton, Laut, Schall“ zusammen. Daraus ableitend bedeutet 觀世音 so viel wie „die Töne (oder auch Gebete) der Welt wahrnehmend“. Aus dieser Beschreibung ergibt sich die Aufgabe der mitfühlenden Bodhisattva, nämlich den Gebeten und Rufen von den auf der Erde lebenden Menschen zu lauschen und ihnen zu helfen Erlösung zu finden. Da viele Menschen bei ihr Trost und Glück suchen, ist sie als eine der am meisten verehrten Figuren des ostasiatischen Buddhismus in zahlreichen Ikonographien, Texten und praktizierter Religion auffindbar.
Quellenangabe: Kannon