Gedanken von Angela Kling, Januar 2021
Das Neue Jahr hat begonnen und mein Anfangs- und Hoffnungselan für meine Ideen, Vorhaben, Treffen, Workshops, Schwitzhütten und Reisen ist verebbt. Einzig den Beisetzungstermin für meine Mutter wollen wir nicht zum dritten Mal verschieben.
Ansonsten keine Chance auf eine kurzfristige Veränderung! Enttäuschung macht sich körperlich breit. Ein seltsames Gefühl der Lähmung beschleicht mich. Ich folge zwar meiner mir selbst gegebenen Tagesstruktur (mehr oder weniger), aber gefühlsmäßig bin ich nicht präsent, bin mit der Trauer beschäftigt, die mir in manchen Momenten in die Augen schießt. Ein überwältigender Schmerz, wenn ich an die eingesperrten Kinder und Jugendlichen denke, an die Gewalt in den häuslichen vier Wänden gegen die Frauen und Mütter und Kinder, an die Angst, das Elend, in dem so viele Menschen nun leben müssen, die Erdbeben, die Flüchtenden, die Krankheiten, die Sterbenden, so vieles, vieles, was schrecklich ist. Wohin ich auch in den Medien schaue, ich könnte unablässig klagen. So jammere ich in manchen Momenten vor mich hin, fühle mich ohnmächtig und tröste mich mit zu viel essen.
Wenn es jedoch stimmen sollte, wie es NeurowissenschaftlerInnen, BuddhistInnen, und viele andere darlegen, dass wir unsere ganz eigene Realität und subjektive Befindlichkeit selbst herstellen, sozusagen selbst konstruieren, dann schaue ich mal genauer hin. Es kommt mir der Satz in den Sinn:
„Das, was ich bekomme, will ich nicht – und das, was ich will, bekomme ich nicht!“
Und wenn ich noch genauer hinschaue, dann hat dieses Gefühl u.a. mit dem Festhalten an meiner Planungsstruktur zu tun. Seit Jahrzehnten plane ich meine Tage, Wochen und Monate sehr genau. In meinen Jahreskalender trage ich alle Termine ein, früher hatte ich manchmal Arbeitskontakte im 30 Minuten Takt, jetzt vermischen sich sowohl private als auch andere Termine, an denen ich besonders junge Menschen kostenlos unterstütze und berate. Eine Planung, die mich immer befriedigt hat, bzw. sie hat mir Orientierung und Vorfreude gegeben. Auch Sicherheit? Ja, schon. Ich wusste ungefähr, was in der kommenden Zeit auf mich zukam und konnte mich darauf einstellen, Vorbereitungen treffen. Oft gab es Verschiebungen, das war normal, kein Problem. Aber vieles ist genauso abgelaufen, wie ich es geplant hatte. Ich fand mich aktiv, gut sortiert, fokussiert und mit meinem System sehr erfolgreich.
Und jetzt das: fast im ganzen letzten Jahr und auch schon in diesem Januar gibt es vollständig durchgestrichene Wocheneintragungen. Das sieht schrecklich aus! Ich bin dazu übergegangen, das Desaster mit Tipp Ex (musste ich mir extra im Internet besorgen) zu überdecken. Es wandelt sich nun eher zu einer Art überschriebenem Tagebuch, weil ich oft erst hinterher auf die Tipp Ex Schicht eintrage, welche Aktivitäten bzw. Begegnungen oder Arbeiten ich tatsächlich gemacht habe.
Ein flexibler neuer Planungsstil
Es hat sich still und heimlich ein anderer Planungsstil entwickelt, der sich eigentlich ganz gut anfühlt – und gleichzeitig bin ich nervös, weil die langfristigen Vorhaben nicht mehr funktionieren, jedes Mal ein schmerzlicher Druck in der Magengrube, wenn eine Vereinbarung abgesagt wird.
Ich bin sozusagen aus dem Tritt geraten und tänzele jetzt so vor mich hin. Mal schnell vorwärts, mal ruckartig stehenbleiben, mal ein paar Schritte zurück gehüpft. Mal gleiche ich meine Schrittgeschwindigkeit anderen an, mal gleiten sie mit mir voran. Ich muss an den „Narren“ im Tarot denken.
Ungewissheiten und offener Raum
Kann ich sagen, dass jetzt vieles mehr aus dem inneren Impuls entsteht? Eine Anhäufung von Vorhaben löst bei mir schnell Unbehagen aus. Die Irritation im freigewordenem, offenen Raum verwandelt sich nur langsam in tiefes, (dankbares) Ein- und Ausatmen.
Wie ich es jetzt mache? Die Arbeitskontakte notiere ich mir genau, aber auch hier regieren die Ungewissheiten, die mich flexibel halten z.B. ob live Supervision oder online, ob die TeilnehmerInnen krank sind, ob plötzlich kein Geld mehr dafür da ist, die Anliegen sich verändert haben oder der Gebäudekomplex wegen einer Bombe aus dem 2. Weltkrieg evakuiert werden muss.
Ich nehme mir nur noch ein paar vage, innere Verabredungen vor: Herzenswünsche in das Universum geschickt. Damit komme ich besser klar. Ich reserviere mir Zeiten höchstens eine Woche im Voraus (sehr ungewöhnlich). Das ist jetzt schon deswegen mein aktueller Rhythmus, weil die Betreuung meiner Enkeltochter sich meistens erst am Wochenende entscheidet, wenn die neuen Direktiven für die Kitas bei den erschöpften Eltern ankommen.